Cuchillo de palo

placeholder

»Rodolfo war der einzige meiner vielen Onkel, der kein Schmied war wie mein Großvater. Rodolfo wollte Tänzer werden.« Dieser Film begibt sich auf die Spurensuche nach den Lebensstationen von Rodolfo, dem Onkel der aus Paraguay stammenden Regisseurin. Auf dieser Suche findet sie heraus, dass sich auch Rodolfos Name auf einer Liste befindet, die 108 Homosexuelle aufzählt, die während der Stroessner-Diktatur im Paraguay der 80er Jahre verhaftet und gefoltert wurden. »Rodolfo’s Geschichte enthüllt einen Teil der totgeschwiegenen Geschichte meines Landes.« Während der Diktatur und in den 15 Jahren der Übergangszeit verschwanden 336 Menschen. 20.000 wurden willkürlich festgenommen, 18.000 gefoltert und mindestens 59 hingerichtet. Rodolfos toter Körper wurde gefunden, als die Regisseurin ein Kind war. Als sie ihre Eltern fragte, warum er gestorben sei, antwortete man ihr: »Aus Traurigkeit.«
Es war Winter. Mein Vater alarmierte uns. Sie hatten die Leiche meines Onkels unbekleidet auf dem Fußboden gefunden. Eine Menschenmenge stand herum. Die Polizei drängte die Neugierigen zurück. Meine Verwandten waren vor Ort. Sie baten mich, hineinzugehen und die Sachen auszuwählen, in denen er beigesetzt werden sollte. Ich öffnete seinen Schrank, er war leer. Als ich mich erkundigte, woran er gestorben war, bekam ich zu hören: an der Traurigkeit. Diese Antwort stellte alle meine Erinnerungen an sein Leben in Frage. Ich glaube, meine Eltern haben einen Fehler gemacht, als sie mir als Kind sagten: „Halt dich vom Haus des Onkels fern.“ Von diesem Augenblick an hat mich alles, was er tat, interessiert. Rodolfo war anders. Er trug schrille Sachen, hörte Elvis und tanzte auf jeder Geburtstagsfeier. Seltsam war nur, dass der Stuhl an seiner Seite immer leer blieb. Er war unter den Brüdern meines Vaters der Einzige, der kein Schmied wie mein Großvater werden wollte. Im Paraguay der 80er Jahre, unter der Stroessner-Diktatur, wollte er Tänzer werden. Mein Film berichtet von der Suche nach den Spuren seines Lebens und der Entdeckung, dass er damals auf einer der „108er Listen“ gestanden hatte und verhaftet und gefoltert worden war. Wenn heutzutage in Paraguay jemand von einem „108er“ spricht, ist damit immer noch „Stricher, Schwuler“ gemeint. Während der gesamten Zeit der Diktatur, die eine ganze Generation lang währte, waren Männer, die in Verdacht gerieten, homosexuell oder gegen das Regime zu sein, die bevorzugten Opfer der Kollaborateure. Als sie ihn freiließen, zog sich mein Onkel in seine Ecke zurück, bis die Wunden verheilt waren. Seine Geschichte enthüllt einen verborgenen und verschwiegenen Teil der Geschichte meines Landes.
Renate Costa

Details

  • Länge

    93 min
  • Land

    Spanien
  • Vorführungsjahr

    2010
  • Herstellungsjahr

    2010
  • Regie

    Renate Costa
  • Mitwirkende

  • Produktionsfirma

    Estudi Playtime
  • Berlinale Sektion

    Panorama
  • Berlinale Kategorie

    Dokumentarfilm

Biografie Renate Costa

Geboren 1981 in Paraguay. Sie studierte dort Filmregie und Produktion, an - schließend Dokumentarfilm an der Internationalen Schule in Kuba. Seit 2006 lebt sie in Barcelona, wo sie den Studiengang Künstlerischer Dokumen - tarfilm an der Universität Pompeu Fabra abgeschlossen hat. Sie hat 13 Fol gen einer dokumentarischen Fernsehserie inszeniert und mit CUCHILLO DE PALO nun ihren ersten langen Dokumentarfilm realisiert.

Filmografie Renate Costa

2012 Resistente